Landwirtschaft als Lehrraum

Beispiele aus der Zusammenarbeit von Hof und Schule – eine Kooperation in Norwegen

von Linda Jolly
Universität für Umwelt- und Biowissenschaften Oslo

Seit 1996 haben wir eine systematische und gegenseitig verpflichtende Zusammenarbeit zwischen Höfen und Schulen in Norwegen geschaffen, um das Lernen und die Gesundheit von jungen Menschen zu fördern. Die sich schnell verändernden Kindheitsbedingungen und eine wachsende Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit Diagnosen sind eine Herausforderung für das traditionelle Schulmodell. Bauernhöfe repräsentieren eine pädagogische Ressource, wo Beiträge für Gesundheit, Ernährung, Sinn für Kohärenz, Identität und Erfahrungslernen durch eigene Erfahrungen ermöglicht werden.

Unsere Projekte umfassen allgemeine Pädagogik und Heilpädagogik. Für den Bauern bedeutet Arbeit mit der Schule nicht nur eine Einkommensquelle, sondern auch engeren Kontakt mit der lokalen Gemeinschaft. Durch Kurse auf der Landwirtschaftsuniversität (Norwegische Universität für Umwelt und Biowissenschaften) sind in 16 der 17 Verwaltungsbezirke in Norwegen Hof-Schulprojekte entstanden. Die Kurse dienen hauptsächlich der Entwicklung und Dokumentation von Projekten und liefern individuelle Beratung für jedes Projekt.

Beispiel 1

Eines unserer ersten Projekte entstand in Aurland in Verbindung mit dem nationalen Programm von 1996, Lebendige Schule. Aurland ist ein Dorf in den Fjorden an der Westküste von Norwegen. Hier wohnen 1100 Menschen in einem Gebiet, wo Landwirtschaft tiefe Wurzeln hat, aber wo heute Wasserkraft als Einnahmequelle wichtiger ist.

Es gibt eine Schule von der 1. bis zur 10. Klasse (http://abu.skule.no) mit 160 Kindern/Jugendlichen. In der Nachbarschaft von der Schule befindet sich eine ökologische Landwirtschaftsschule. Die Landwirtschaftsschule und auch andere Bauernhöfe arbeiten mit der Schule zusammen. Es fängt mit dem Kindergarten an. Der Kindergarten liegt direkt am Bauernhof der Landwirtschaftsschule. Die Kleinen haben ihre eigenen Gartenparzellen und Hühner, und sie sehen schon die Erwachsenen, wenn sie auf dem Hof mit Ziegen, Pferden, Kühen, Heuwagen, Traktor und der Ernte beschäftigt sind. Außerdem verlassen sie oft ihren geschlossenen Bereich, um zu Besuch auf den Hof zu kommen.

An der Schule arbeitet jede Klasse mit einem Jahresthema. In der 1. Klasse beginnen die Schüler mit Getreide – es wird gesät, geerntet, von Hand gedroschen, gemahlen und zum Schluss gebacken. Im nächsten Jahr ist es die Kartoffel – vom Pflanzen, Pflegen bis zur Ernte, Lagerung und traditionelle Verwendung. Auf dem Schulhof bewirtschaften alle Klassen ihre eigenen Gartenbeete. Die Tiere am Hof bringen die Kinder nach und nach weiter heraus in die Landschaft. Das Schaf in der 3. Klasse, das Pferd in der 4., die Ziege in der 5. bedeuten Touren zur Weide und ins Gebirge, Übernachtung auf der Alm, und Herstellung von Butter und Käse. Die Schüler schneiden Fruchtbäume, arbeiten im Wald und lernen mit Säge und Äxten hantieren. In der 6. Klasse wird der Schwerpunkt auf Kochen und Konservierung gelegt.

Beeren sammeln, Setzen von Fischnetzen in Gebirgsseen als Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und der Transport mit Pferden im Gebirge sind Beispiele dafür, wie die älteren Schüler sich noch weiter einarbeiten in die Aufgabe, Ressourcen von der Landschaft ins Dorf zu holen. Die Jugendlichen lernen auch alte Landwirtschaftstraditionen wie „hesjing“ (Trocknen von Heu am Zaun), Spinnen und Färben von Wolle mit lokalen Pflanzen. Sie arbeiten an Kulturpfaden für Touristen in verschiedenen Sprachen und übernehmen im Sommer Führungen in der Natur. Die Schüler wachsen hinein in die Landschaft durch ein Verständnis für die Bewirtschaftung in dem Tal und am Fjord. Sie fühlen sich wie Teilhaber an Produktionen, welche die Grundlage sind für die Nutzung von lokalen Ressourcen. Sie verkaufen viele der Produkte ihrer Arbeit zur Unterstützung eines Kinderheims in Uganda, das von einer früheren Mitarbeiterin gegründet wurde.

Ausgehend vom eigenen Dorf erweitern die Schüler ihr Verständnis für die Welt; die Grundlage bilden die Aufgaben, die ihnen begegnet sind. In Aurland wird diese Arbeit als ein Lernen für Nachhaltigkeit bezeichnet. Die Schüler werden im Ort verankert, aber können damit überall in der Welt Anschluss finden.

Beispiel 2

Ebenfalls zu den ersten Anfängen des Programms Lebendige Schule gehören eine Schule für die Mittelstufe und ein Hof in der Nähe von Oslo. Norwegens Hauptflughafen liegt hier, und die Schule ist auf dreimal sechs Parallelklassen, von der 7. bis zur 9. Klasse (in Norwegen 8. bis 10.), gewachsen. Obwohl die Landwirtschaft noch sichtbar ist in der Gegend, gibt es nur 1-2 Jugendliche in jeder Klasse, die von einem Hof oder von ehemaligen Höfen kommen. Die Bäuerin, die jetzt alleine einen ökologischen Milchbetrieb bewirtschaftet, ist gleichzeitig an der Schule als Lehrerin angestellt – nicht im Klassenzimmer wie früher, sondern als Lehrerin auf ihrem eigenen Hof.

Jeden Tag kommen Schüler auf den Hof und eine Schulwoche lang steht praktische Arbeit auf dem Stundenplan. Jede Klasse hat jedes Jahr eine Woche „Schule“ auf dem Hof. In den Wochen, in denen keine Klassen dort sind, kommen Schüler, die den Hof als Alternative zu der gewöhnlichen Arbeit im Klassenzimmer gewählt haben.

Der Aufenthalt beginnt in der Stube, wo früher gekocht und gebacken wurde. Eine Tasse warmer Kräutertee oder Kakao erwarten sie sowie ihr Tagesprogramm. Die Schüler werden in zehn feste Gruppen von je drei Schülern aufgeteilt. Auf dem Programm steht jeweils ein Thema für den Tag. Dies kann so etwas wie Bildung von Humus oder Fairer Handel sein. Auf dem Programm stehen außerdem die Aufgaben. Jede Gruppe bekommt eine Beschreibung ihrer Aufgaben am Vor- und Nachmittag. Die Gruppen erledigen je nach Jahreszeit die Arbeitsaufgaben, die notwendig sind in dem täglichen Betrieb. Die Kühe werden gefüttert, die Milchküche gewaschen, Holz geholt und gesägt, im Frühjahr gibt es viel Arbeit mit Säen und Auspflanzen im Garten. Im Herbst stehen Ernte und Verkauf von Gemüse, Brot backen und Zerlegen von Tieren, die am Hof geschlachtet worden sind, auf dem Programm. Jeden Tag kocht eine Gruppe und serviert ein warmes Mittagessen. Nach dem Essen folgt die zweite Arbeitsschicht.

Im dritten Jahr (9. Klasse) sind die Schüler im Winter auf dem Hof. Jede Klasse plant ein Festmahl für ihre Großeltern und arbeitet die ganze Woche an der Vorbereitung für das Fest. Sie planen das Essen aus dem, was der Hof produziert, gestalten ein Programm und erzählen an dem Abend des Fests von dem, was sie auf dem Hof gelernt haben. Das bildet den Abschluss ihrer Arbeit auf dem Hof.

Beispiel 3

Auf einer kleinen Insel im Westen Norwegens liegt der Hof Straumøy Gard. Das Bauernehepaar hat jede Woche 3-4 Schülergruppen von verschiedenen Schulen auf seinem Hof. Gruppen ganz unterschiedlichen Alters, mal ohne, mal mit besonderem Förderbedarf, kommen einen Tag in der Woche auf den Hof. Da sind Schüler mit Lernbehinderungen, Verhaltensschwierigkeiten oder Krisen zu Hause zusammen in einer Gruppe. Auch sie erledigen die Arbeit, die auf dem Hof gemacht werden muss.

Am Vormittag wird gefüttert und gereinigt – Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner und Kaninchen. Am Nachmittag kann es Waldarbeit, Gartenarbeit, Schreinerarbeit, Bauprojekte usw. geben. Ab und zu werden die älteren Menschen in der Gemeinde zum Kaffeetrinken eingeladen. Jede Woche wird ein Bericht von der Arbeit jeder Gruppe mit Bildern an die Schulen geschickt. Für einige Schüler wird das ganze Lernen in der Schule darauf aufgebaut, was an diesem Tag geschehen ist.

Die Gemeinde hat einen neuen Bau für die Arbeit auf dem Hof unterstützt und jetzt wird das „Schulhaus“ auch jeden Tag nach der Schulzeit als Erholungsort vom Jugendamt gemietet. Zurzeit werden auch Wohnungen für ehemalige Schüler gebaut. Der Hof richtet Arbeitsplätze für diejenigen ein, die sonst Schwierigkeiten haben, einen geeigneten Platz in der Gesellschaft zu finden. Aus einem kleinen „unwirtschaftlichen“ Hof entsteht allmählich ein kleines Dorf.

Diese Beispiele zeigen sehr verschiedene Möglichkeiten pädagogischer Arbeit auf einem Hof. Einige Bauern haben eine Teilzeitanstellung an der Schule, andere werden mit Stundensätzen honoriert. In mehreren Gemeinden werden die Bauern von der Gemeinde bezahlt oder direkt angestellt. Einige Schulen oder Gemeinden sehen dies als Maßnahme zur Vorbeugung von Jugendproblemen, andere als Mittel, die Abwanderung zu verhindern und die Region attraktiv für hinzuziehende Menschen zu machen, andere als Lernbereicherung für die Schule. Wir in der Abteilung für Pädagogik nennen es „Lebendiges Lernen“ (www.livinglearning.org) – eine Möglichkeit, pädagogische Räume zu schaffen, wo eine verpflichtende, fürsorgliche und kontinuierliche Arbeit in und mit der Natur den Kindern und Jugendlichen ein Erlebnis von Zugehörigkeit und Verbundenheit vermitteln kann.

Zuletzt aktualisiert am 4. Mai 2010